Letzten Sonntag waren wir das zweite Mal in drei Jahren in einem Gottesdienst in Tirana. In dem Raum, in dem die Gemeinde zusammenkam, eine recht große, treffen sich insgesamt sechs Gemeinden am Wochenende. Ich war überwältigt von diesen vielen Gemeinden, die es in Tirana zu geben scheint.

Als ich dann mit den Kindern in einem kleinen sehr gut beheizten Raum saß, in dem einige Spielsachen auf dem Boden lagen, kam ich ins Gespräch mit einer anderen Mutter, die einzige, die da noch saß. Natürlich fragte sie mich, woher ich komme und ihre Verwunderung war groß, als sie hörte, wo wir leben. Sie arbeitet bei einer christlichen Organisation. Natürlich war sie noch nie in unserer Gegend hier gewesen.

Es gibt Menschen, die noch nie von Jesus gehört haben

Aber sie erzählte mir von einer Begebenheit, die schon so drei Jahre her sei. Sie traf in einem Krankenhaus in Tirana jemand aus Has (so heißt die Region, in der wir leben). Sie sprach mit dieser Person und war total erschrocken, dass diese Person noch nie von Jesus gehört hatte. Irgendwie schien das nicht in ihr Denken zu passen, dass es in Albanien noch Gegenden gibt, in denen Menschen leben, die noch nie von Jesus gehört haben.
Ich fragte sie nach dem Namen dieser Person, doch sie konnte sich nicht mehr erinnern. Nur muss sie immer an diese Begegnung denken, wenn sie Has hört.
Ja, ich konnte ihr gut bestätigen, dass wir immer wieder mit Menschen sprechen, die wie diese namenlose Person im Krankenhaus sind. Sie kommen oft aus entlegenen Dörfern, Orte, in denen noch nie, noch nie! Weihnachten gefeiert wurde. Da leben kostbare Menschen, die Jesus liebt. Aber wer ist da, um ihnen eben von ihm zu erzählen?

Der Preis ist hoch

Im Nachhinein macht es mich traurig. Es macht mich traurig, dass in Tirana so viele albanische Christen sitzen, ein Gottesdienst nach dem anderen gefeiert wird, aber anscheinend kein Drang vorhanden ist, ihr Land und die Gebiete, die noch unberührt sind vom Evangelium zu erreichen. Da sind wir - Ausländer.

Ich verstehe es auch. Im Vergleich zur Hauptstadt hat das Leben hier gar nichts zu bieten.
Keine schicken Cafés an jeder Ecke. (Cafés schon, aber die sind meistens nicht schick und auch nicht für Frauen). Keine tollen Einkaufsmöglichkeiten (nur kleine Tante Emma Läden). Die Chance, hier Arbeit zu finden ist sehr schlecht. Wir leben im Hinterland bei den Hinterwäldlern (das sagen nicht wir, das sagen die Albaner selber). Konservativ, traditionell, fanatisch (das sagen unsere Freunde von hier auch selber). Für jeden Albaner, der nicht von hier kommt, kostet es sehr viel, sehr sehr viel, hier her zu kommen.

Uns kostet es auch etwas. Im Winter empfinde ich den Preis hoch. Vor allem jetzt mit drei kleinen Kindern. Seit kurzem schlafen wir wieder alle zusammen in der kleinen Küche, das Bad ist eiskalt und alle anderen Räume auch. Das Wohnzimmer haben wir seit einem Tag nicht geheizt und nun sind die Fenster von innen gefroren. Oft beschränkt sich das Leben auf unsere kleine Küche mit drei kleinen sehr lebendigen Kindern.

Ich will nicht klagen. Aber ich will auch nicht verheimlichen, dass es hier manchmal alles andere als einfach ist. Auch ich hadere zu Zeiten mit den Umständen, mit den Zimmern, die nicht warm werden, mit einem erheblichen Mehraufwand an Arbeit im ganz alltäglichen Leben, Gläubige in Auf und Abs zu begleiten, Enttäuschungen, geistliche Finsternis überall. Auch ich stelle immer wieder die Kosten gegenüber dem, was es “bringt”.

Der Ruf zu einem unbequemen Leben

Wir haben gerade unseren Rundbrief herausgebracht und genau zu solch einem Leben und zu einem Leben, dass noch weit schwerer sein kann wie unseres, herausgefordert. Mission bedeutet nicht, an einem schönen Ort zu sitzen, an dem andere Urlaub machen. Die Gebiete, die noch unerreicht sind, sind meistens auch die Gebiete, die bisher unattraktiv waren, schwer zugänglich und gefährlich. Deshalb sind sie ja auch noch unerreicht. Albaniens Hauptstadt ist erreicht. Die vielen abgelegenen Dörfer in den Bergen nicht.

Ich mache gerade keine gute Werbung für den Arbeitsplatz hier, den wir unbedingt noch besetzen wollen, oder? Wer nimmt schon gerne willentlich Schwierigkeiten und Herausforderungen auf sich. Die kommen doch auch von ganz allein?

Heute habe ich in 2.Korinther 12 gelesen. Was Paulus da schreibt ist so völlig gegen das Konzept, das viele Christen heute leben. Was schreibt der große Apostel da?

Deshalb habe ich Wohlgefallen (Wohlgefallen?!)
an Schwachheiten,
an Misshandlungen,
an Nöten,
an Verfolgungen,
an Ängsten (ja, auch der große Paulus kannte Ängste!)
Um Christi Willen,
Denn
Wenn ich schwach bin,
Dann bin ich stark.

Nun, an welche Aussage ist dieses “deshalb” geknüpft? Das ist die große Frage und der einzige Schlüssel für solche Worte, die so gar nicht in unsere Zeit passen.
Schwachheit, körperliche Leiden, Nöte aller Art, Verfolgung (Lästerung, schlechte Nachrede etc.), Ängste - welcher Mensch hat zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen denn Freude daran, Wohlgefallen sogar. Wer umarmt diese Dinge, wer nimmt sie mit Dankbarkeit an?

Die Gnade Jesu genügt

Ein Vers zuvor finden wir die Antwort. Finden wir die Antwort auch für unser Leben. Finde ich den Schlüssel, den Augenöffner, finde ich für mich Worte, die alles in mir zum klingen bringen: ja! Ja, das ist die Antwort! Das ist es wert! Dahin will ich kommen!

Jesus selbst hat zu Paulus gesprochen:
Meine Gnade genügt dir! Meine Gnade genügt dir!
Denn
Meine Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung.
Sehr gerne will ich mich nun vielmehr meiner Schwachheiten rühmen,
Damit die Kraft Christi bei mir wohnt.

Damit die Kraft Christi bei mir wohnt! Seine Gnade genügt!

Ich weiß für mich, das ist der Schlüssel. Das ist es, was mich durch trägt durch so manche schwierige Zeit. Es ist nicht mein Vermögen: Ich kann das!
Ich denke an Menschen in Deutschland, die anerkennend sagen: “Dass du das kannst! Ich könnte das nicht!” Alles in mir schreit: Nein! Ich kann das auch nicht! Ich kann es nicht! Aber Er, er durch mich! Und in seiner Gnade lebe ich jeden Tag! Seine Gnade befähigt mich in meiner Schwachheit.

Ich habe immer mehr den Eindruck, dass wir Christen, wir bequemen Christen in Deutschland, gar nicht mehr wissen, was es heißt, was Paulus da schreibt. Und ich schließe mich selbst mit ein. Aber noch viel schlimmer finde ich, dass es so wenige gibt die sagen: aber ich will da nicht stehen bleiben! Ich will, ich will diese alleingenügende Gnade erleben. Ich will diese Kraft Christi in mir erleben!

Wir müssen uns auf den Weg machen

Aber das geschieht eben nur dann, wenn ich mich auf den Weg mache. Wenn ich Jesus nachfolge mit allem, was es kostet. Wenn ich bereit bin, den unbequemen Weg zu gehen. Wenn ich bereit bin, mein Kreuz zu tragen und Jesus nachzufolgen, wo immer er mich auch hinführt.
Bist du dazu bereit? Bin ich dazu bereit?

Ja, der Weg ist nicht immer leicht. Wir haben Kosten zu tragen, wenn wir Jesus nachfolgen. Aber das, was wir erleben dürfen ist so viel größer als das. Das Leiden in dieser Zeit so gering im Gegensatz zu der Herrlichkeit, die uns erwartet.

Wenn ich an die Begegnung mit dieser Frau im Kinderzimmer zurückdenke, wenn ich mir diese Person im Krankenhaus vorstelle, wie sie zum ersten Mal von Jesus gehört hat, wenn ich an meine Begegnungen mit Menschen hier denke, denen ich zum ersten Mal das Wunder des Evangeliums erzählen durfte, dann weiß ich, warum ich hier bin!

Es ist alles wert! ER ist alles wert!