Wir sind wieder in dem Land, das acht Jahre unser Zuhause war. Albanien.
Wir kommen zurück in eine Stadt, die uns vertraut ist, wie unsere Westentasche. Eine Stadt, in der unsere Kinder groß geworden sind. Eine Stadt, die anfangs kalt und hässlich und unzugänglich erschien, wie eine starke Mauer. Eine Stadt, die jetzt voller Menschen ist, die wir kennen und lieben.
Vieles hat sich verändert. Als wir vor 13 Jahren hierher kamen, waren viele Straßen noch nicht asphaltiert. Der Müll lag offen und stinkend überall herum und die Straßenhunde waren ein Elend anzusehen. Die Männer trugen noch keine kurzen Hosen und kaum ein Cafe war offen für Frauen. Die Häuser waren alt, noch aus der Zeit des Kommunismus, erzählten noch die Geschichte einer langen und schmerzhaften Diktatur, die nur allmählich in den Herzen der Menschen geheilt wurde. Fassaden sind schnell neu und schön gemacht, die Vergangenheit kaum erkennbare Realität. Doch wie anders ist es mit den Herzen der Menschen...
Wenn ich jetzt durch die Straßen unserer Stadt laufe, dann sehe ich all die Dinge, die schöner geworden sind. Das Geld all derer, die illegal ins Ausland gegangen sind, fließt zurück in die Heimat und ermöglicht den Bau großer und schöner Häuser. Schicke Autos fahren herum. Sie locken die noch zurückgebliebenen Jungs und flüstern ihnen ein, es gäbe das gute Leben, das schnelle Geld woanders. Viel zu viele glauben es. Viel zu viele gehen und lassen ein verblutendes Land hinter sich. Alte Eltern bleiben allein, sehen ihre Kinder über Jahre und Jahrzehnte nicht mehr. Es bleibt eine Gesellschaft zurück, der es an Ärzten und Krankenschwestern, an Fachpersonal überhaupt mangelt, an jungen Leuten, die Hoffnung für ihr Land haben, die die Zukunft bauen und ein untergehendes Schiff retten.
Wenn ich jetzt durch die Straßen unserer Stadt laufe, dann sehe ich all die Veränderungen. Unser Familienzentrum ist leer. Die Physiotherapie existiert nicht mehr in dem Rahmen, wie wir sie hinterlassen haben. Der kultige Jeep, der uns immer treu über alle Straßen und zu den entlegensten Dörfer gebracht hat, ist verkauft. Auch unser Teamauto hat einen neuen Besitzer gefunden. Seit neustem ist der Spielplatz, den wir damals aus Deutschland gespendet bekommen und aufwendig mit einem Team aufgebaut haben, verschwunden. Der Platz ist leer, wo er stand, da der Kindergarten in die Schule umgezogen ist. Etwas traurig laufe ich vorbei, sehe noch so manche Überreste. Der Spielplatz war der einzige in der ganzen Stadt und ein Ort der Freude für viele Kinder. Schade, dass er aus dem Zentrum verschwunden ist.
Alles hat seine Zeit. Dieser Satz kommt mir in den Sinn und schenkt mir Trost.
Alles will ich so annehmen, wie es gekommen ist. Viel dessen, was wir hier über die Jahre aufgebaut hatten, ist nicht mehr. Viele sichtbare Spuren unseres Hier- Seins haben sich aufgelöst. Was ist geblieben, will man fragen. Was haben wir zurückgelassen? Was hat uns überlebt?
Viel zu oft will ich mich an den sichtbaren Dingen festhalten und an dem Messen lassen, was meine Augen sehen. Aber es sind ja weniger die sichtbaren Dinge, die wir hinterlassen wollten. Es war uns klar, dass wenn wir gehen, vieles "verloren" gehen wird von dem, was wir aufgebaut haben. Doch nichts, nichts war umsonst. Nichts war vergebens. Alles hatte seine Zeit, seinen Sinn, seine Aufgabe in dem großen Plan Gottes mit dieser Stadt und mit uns. Nicht die sichtbaren Dinge zählen, auch wenn wir das so oft meinen. Wie oft wünschte ich mir, das eine Gemeinde lebendiger, Jesus nachfolgender Menschen so schnell gebaut werden könnte wie ein schöner Spielplatz.
Ich will daran festhalten, dass es nicht die sichtbaren Dinge sind, die zählen, sondern die vielen unsichtbaren Dinge: unsere Taten, unsere Worte, unsere Gebete. Es scheint wie Rauch, der einfach so verflogen ist ohne Wirkung. Aber so ist es nicht. Nichts, was wir aus Liebe und aus Gehorsam Gott gegenüber getan haben und tun, ist vergebens. Alles ist ein Wohlgeruch vor Gott, ist wertvoll und wird das bewirken, was Gott in seiner Allwissenheit will.
Wenn ich jetzt durch die Straßen unserer Stadt laufe, dann tue ich es nicht mit Traurigkeit über alles, was nicht mehr ist, sondern in der festen Hoffnung und dem unerschütterlichen Glauben, dass Gott alles, was war und was ist in seinen wunderbaren Plan einfügt, um in dieser Stadt seine "Schafe" zu sammeln und seine Gemeinde zu bauen!
Es war und ist mir eine Ehre, Teil davon zu sein.
Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. (Jesaja 55, 8-11)