Vielleicht hatte ich gedacht, in Deutschland würde mich menschliches Leid nicht so treffen, wie in Albanien. Vielleicht haben mich deshalb die Ereignisse der letzten Woche so stark getroffen. Wie eine unerwartet große Welle, die mir mit voller Wucht ins Gesicht schlägt und mich kaum stehen lässt. Man braucht wieder eine Weile, um zu Atem zu kommen und das brennende Salzwasser aus den Augen zu reiben, um wieder klar sehen zu können.

Die Ereignisse der letzten Tagen haben mir gezeigt: das Leid und der Schmerz wird nicht leichter...
Letzte Woche erzählte mir eine gute Freundin hier, eine, die meinem Herzen in wenigen Monaten sehr nahe gekommen ist, dass sie mit ihrem Sohn, der beste Kindergartenfreund von Henry, schnell weg muss, weil sie seitens der Familie bedroht wird. Sie hatte sich eine tapfere Existenz aufgebaut, eine schöne Wohnung, eine Arbeit, ein selbstständiges Leben, was für Frauen aus ihrer Kultur alles andere als normal ist.
Innerhalb von zwei Tagen packte sie das nötigste, übergab mir ihre Haus- und Wohnungsschlüssel, ließ ihr e-Bike bei mir (ich muss mit Tränen kämpfen, wenn ich es jetzt sehe, weil es einfach ihres war und sie immer mit dem Fahrrad und ihrem Sohn im Sitz zu uns kam...). Ich war noch oft bei ihr in den letzten Tagen. Ich hab sie viel gehalten und ach, was haben wir geweint. Wieviel hab ich für sie gebetet, ihr Jesus vor Augen gemalt als einen Gott, der sie sieht und der sich kümmern wird. Gott hat so viel gewirkt in diesen Tagen. Und ich habe irgendwie mit Schrecken festgestellt, wie nah doch der Schmerz liegt und wie schnell und unerwartet er dich treffen kann.

Ich habe schonmal einen Artikel in Albanien geschrieben über das Mitleben und Mitleiden.  Das eine bringt meist das andere mit sich. Wer sich viel öffnet, sein Herz teilt und wer viel liebt, der leidet auch viel.
Doch ist nicht genau das unser Auftrag? Kam nicht auch Jesus in unsere Welt und hat mit uns gelebt und noch viel mehr mit uns gelitten. Er hat uns Menschen gesehen mit seinen Augen, aber noch viel mehr mit seinem Herzen. Seinem mitleidenden Herzen. Er hat uns sein Vorbild hinterlassen, dass wir ihm nacheifern.

Ich möchte dir heute Mut machen, deine Mitmenschen mit deinen Augen zu sehen, aber noch viel mehr mit den Augen deines Herzens. Denn wusstest du, dass dein Herz Augen hat? Und wie sehr haben wir verlernt, mit ihnen zu sehen...

Mein Herz wird sicher noch viel weinen um meine liebe Freundin und ihren Sohn, die so plötzlich verschwinden mussten. Eben noch voll in meinem Leben und jetzt auf einmal weg... Ihren Schmerz in jeder Träne zu spüren wie einen Stich in mein Herz. Diese Ungerechtigkeit und meine Machtlosigkeit.
Doch ich will nie aufhören, an der Oberfläche zu bleiben in meinen Beziehungen. Ich sehe, wie Gott mir immer wieder Menschen über den Weg schickt und einen Auftrag für mich hat an ihnen. Manchmal würde ich jedoch viel lieber länger mit ihnen unterwegs sein. Doch das liegt in Gottes Hand.
Hier und heute ist dir und mir gegeben, das Gute zu wirken an unserem Mitmenschen. Sie in unser Leben mit Jesus hineinzulassen. Sie zu lieben und mit ihnen zu leiden, wenn nötig. Willst du das auch?